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Direkter Anspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers, Teil I

Was bisher nur im Strassenverkehr bei der Motorfahrzeugversicherung nach Art. 65 Abs. 1 SVG galt, wird nun auch ab dem 01.01.2022 mit dem Inkrafttreten des revidierten Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) eingeführt:

Ein direktes Forderungsrecht des Geschädigten oder dessen Hinterbliebener gegenüber der Haftpflichtversicherung des Schädigers.

Damit wurde eine konsumentenfreundliche Regelung gegen den Widerstand der Versicherungslobbyisten Gesetz. Seitens des Schweizer Versicherungsverbandes (SVV) war zunächst versucht worden, eine abgemilderte Version, die nur für den Fall, dass keine haftpflichtig Versicherten mehr als Haftungssubjekte vorhanden wären, einen direkten Anspruch gegen den Versicherer vorsah, durchzusetzen.

Auch die Argumentation, der Schutz des Versicherten bei Selbstbehalten würde bei einem direkten Anspruch des Geschädigten gegen den Versicherer aufgeweicht, weil quasi „über den Kopf“ des Versicherten hinweg verhandelt werde und dieser sich nicht dagegen wehren könne, fand kein Gehör.

Vielmehr sah der Nationalrat in dem direkten Forderungsrecht des Geschädigten einen Vorteil für den Versicherten, weil dieser sich nicht mehr selbst mit der Schadensregulierung zu befassen brauche und somit entlastet werde (vergl. Marco Forte, Stephan Kinzl „Der neue Art. 60 Abs. 1bis VVG – Direktes Forderungsrecht der geschädigten Person gegen (alle) Haftpflichtversicherungen“, Anwaltsrevue 2021, S. 421 – 425).

Die neue Vorschrift Art. 60 Abs. 1bis VVG lautet:

„Dem geschädigten Dritten oder dessen Rechtsnachfolger steht im Rahmen einer allfällig bestehenden Versicherungsdeckung und unter Vorbehalt der Einwendungen und Einreden, die ihm das Versicherungsunternehmen aufgrund des Gesetzes oder des Vertrags entgegenhalten kann, ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Versicherungsunternehmen zu.“

So wäre es denn in einem in der Praxis nicht so seltenen Fall, in dem ein Dritter bei dem Einsturz eines Baugerüstes geschädigt wird, ohne weiteres möglich, direkt die Haftpflichtversicherung des haftenden Werkunternehmers in Anspruch zu nehmen. Eine Schadensmeldung kann selbst vorgenommen werden. Auch entfällt in den Fällen, in denen der Schädiger über kein ausreichendes Vermögen für die Schadensregulierung verfügt, etwa weil er in der Zwischenzeit in Konkurs ging, die Notwendigkeit einer Abtretung von Ansprüchen des Versicherten gegenüber seiner Haftpflichtversicherung im Konkurs- oder Nachlassverfahren. Auch bei ausländischen Ärzten, die nur kurz in der Schweiz praktizieren und dann wieder in ihren Heimatstaat zurückkehren (sog. „Flugärzte“, vergl. Forte, Kinzl, aaO S. 423), kann bei Vorliegen eines ärztlichen Kunstfehlers nun die Haftpflichtversicherung direkt in Anspruch genommen werden. Gleiches gilt bei Personen wie Mietnomaden, die sich nach kurzzeitigem Wohlverhalten dem Zugriff des Vermieters entziehen und dieser bisher nicht auf eine ihm bekannte Haftpflichtversicherung des Mietnomaden zugreifen konnte.

Selbstbehalte des Schädigers können gleichfalls beim Versicherer verlangt werden (vergl. Forte, Kinzl, aaO S. 424), der ein Rückgriffsrecht bei seinem Versicherungsnehmer hat.

Wie aus dem Strassenverkehrsrecht hinlänglich bekannt, bringt der direkte Zugriff des Geschädigten auf den Versicherer auch dem Schädiger Vorteile, denn er hat mit der weiteren Schadensabwicklung nichts mehr zu tun. Er wird auch nicht mehr zwingend in einem zu führenden Rechtsstreit als Beklagter benannt werden, abgesehen von Konstellationen in denen der Schädiger ansonsten als Zeuge für den Versicherer zum Schadenshergang benannt werden könnte. In diesen Fällen wird u. U. ein Anwalt den Schädiger weiter mitverklagen, damit er allenfalls als Partei gehört werden kann. In den sonstigen Fällen entfallen für den Schädiger damit auch die Haftung für Prozesskosten und Parteientschädigung.

Fortsetzung in Teil II

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