«Enterbung» durch Pflichtteilsvermächtnis

Pflichtteil und Vermächtnis: Vermeidung der gesetzlichen Erbfolge und des Pflichtteilsanspruchs durch testamentarisches Vermächtnis.

Auagangspunkt

Die/der Erblasser(in) (im Folgenden «Erblasser») möchte vermeiden, dass einer von mehreren Nachkommen Erbe wird, um Streit unter den Erben zu vermeiden. Durch die Errichtung eines Testaments, in dem ein sog. «Pflichtteilsvermächtnis» für den betreffenden Nachkommen angeordnet wird, lässt sich dies bewerkstelligen.

Rechtliches

In Art. 457 Abs. 1 ZGB ist gesetzlich geregelt, dass die Nachkommen (=Kinder) die nächsten Erben des Erblassers sind. Die Kinder erben zu gleichen Teilen, Art. 457 Abs. 2 ZGB. Diese gesetzliche Erbfolge lässt sich mit einer Verfügung von Todes wegen, namentlich letztwillige Verfügung («Testament») nach Art. 467 ZGB oder Abschluss eines Erbvertrages mit den Nachkommen gemäss Art. 468 ZGB, umgehen.

Zu beachten ist jedoch, dass eine völlige testamentarische Enterbung nach Art. 477 ZGB nur bei Vorliegen von sehr schwerwiegend Gründe möglich ist. Ansonsten kann kein gesetzlicher Erbe völlig von der Erbfolge ausgeschlossen werden. Der Erblasser, der Nachkommen, den Ehegatten, die eingetragene Partnerin oder den eingetragenen Partner hinterlässt, kann nur bis zu deren Pflichtteil über sein Vermögen von Todes wegen verfügen, Art. 470 Abs. 1 ZGB. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs, Art. 471 ZGB. Pflichtteilsberechtigte haben dagegen weitgehende Rechte, sie können insbesondere auch die Errichtung eines öffentlichen Inventars gemäss Art. 580 ZGB verlangen in dem der/ die Erben den Nachlass im Einzelnen offenlegen müssen und können auch eine Herabsetzungsklage nach Art. 522 ZGB erheben.

In Bezug auf einen durch eine Verfügung von Todes wegen vollständig übergangenen gesetzlichen Pflichtteilserben hat das Bundesgericht wiederholt festgehalten, dass ein solcher seine Erbenstellung erst mit einem zu seinen Gunsten lautenden Ungültigkeits- oder Herabsetzungsurteil gemäss Art. 519 ZGB und Art. 522 ZGB erlange (vgl. z.B. BGE 143 III 369, E. 2.1). Bis dahin ist er bloss ein sogenannter «virtueller Erbe» (vgl. BGE 138 III 354, E. 5 «erede virtuale»). Als vollständig übergangenen, und damit von der Erbfolge (zumindest vorerst) ausgeschlossenen, virtuellen Erben erachtet das Bundesgericht insbesondere Pflichtteilserben, die in einer letztwilligen Verfügung entweder explizit als Erben ausgeschlossen werden (mit oder ohne Angabe von Gründen) oder aber in der letztwilligen Verfügung des Erblassers überhaupt nicht erwähnt werden, während er damit andere Personen als seine Erben bestimmt hat (vgl. BGE 139 V 1, E. 4.3). Von grosser Bedeutung sind insoweit die kurzen Verjährungsfristen von jeweils einem Jahr ab Kenntnis für die Ungültigkeits- oder Herabsetzungsklage, Art. 521 ZGB und Art. 533 ZGB. Sind diese Fristen verstrichen, bleibt die Verfügung von Todes wegen wirksam.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein bloss virtueller Erbe nicht dazu berechtigt, ein öffentliches Inventar gemäss Art. 580 ZGB zu verlangen (BGE 143 III 369, E. 3), wohingegen er zur Beantragung der Aufnahme eines Sicherungsinventars gemäss Art. 553 ZGB legitimiert sein soll (vgl. BGer 5A_610/2013 E. 2.2.1–2.2.2), das aber keine materiellrechtliche Bedeutung hat.

Das Obergericht des Kantons Zürich (Beschluss und Urteil vom 27. Mai 2020, LF200005-O/) hatte nun den Fall zu entscheiden, ob ein pflichtteilsgeschützter Erbe seine formale Erbenstellung auch dann verliert, wenn er vom Erblasser nicht vollständig übergangen wurde, weil er zwar mittels letztwilliger Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen wurde, ihm danach aber statt seines Pflichtteils, ein Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteils auszurichten ist.

Das Obergericht des Kantons Zürich hat dazu festgehalten, dass es zu beachten gilt, dass ein dem Werte nach vollständig abgefundener Pflichtteilserbe gar nicht erfolgreich auf Herabsetzung klagen kann und diesem nur noch eine allfällige Ungültigkeitsklage zur Verfügung steht, um die Eigenschaft des «echten Erben» zu erlangen. Insofern stünden dem vollständig abgefundenen Pflichtteilserben sogar weniger Mittel zur Verfügung, um seine echte Erbenstellung zu erstreiten als dem vollständig übergangenen Pflichtteilserben (Beschluss und Urteil vom 27. Mai 2020, LF200005-O/ E.2.10).

In der Folge kam Obergericht des Kanton Zürich dann zu folgendem Ergebnis: «Dementsprechend ist auch einem von der Erbfolge ausgeschlossenen Pflichtteilserben, der aber mit einem seinem Pflichtteil dem Werte nach entsprechenden Vermächtnis abgefunden wird, das Antragsrecht hinsichtlich der Anordnung eines öffentlichen Inventars gemäss Art. 580 ZGB zu versagen, solange ihm dieses nicht im Rahmen eines ordentlichen Prozesses (Herabsetzungs- oder Ungültigkeitsklage) zuerkannt worden ist.» (Beschluss und Urteil vom 27. Mai 2020, LF200005-O/ E.2.10).

Das heisst der Pflichtteilsvermächtnisnehmer wird nicht als Erbe angesehen und kann damit die zu Erben bestimmten Personen nicht bei der Abwicklung und Teilung des Nachlasses behindern.

Das Pflichtteilsvermächtnis bietet damit eine Gestaltungsmöglichkeit, die sinnvoll erscheint, wenn Enterbung oder Erbverzicht bzw. Erbauskauf nicht möglich sind und Auseinandersetzungen zwischen den Erben zu erwarten sind.

Gerne beraten wir Sie über Möglichkeiten, individuell auf Ihre Situation zugeschnitten.

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Anmerkung: Dieser Beitrag wurde von der unabhängigen Anwaltskanzlei «Martin Rechtsanwälte GmbH» auf unserem Blog publiziert.