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FinfraG: Beschlusspflicht für alle? – Teil 1 (Ausgangslage)

«Wir handeln nicht mit Derivaten und betreiben kein Atomkraftwerk»

von martin@m-win.ch, Tel. +41 (52) 269 21 11

Der Verwaltungsrat einer agrarwirtschaftlichen Unternehmung staunt nicht schlecht, als die Revisionsstelle ihn auffordert, einen Beschluss vorzulegen, wonach sein Unternehmen NICHT mit Finanzderivaten handeln will und somit nicht dem FinfraG nicht unterstehe. Mit solchen hatte er noch nie zu tun. Muss er nächstens auch beschliessen, keine Atomkraftwerke oder Flughäfen oder Kläranlagen zu betreiben, um den entsprechenden Gesetzgebungen nicht zu unterstehen?

In einem ersten Beitrag gehen wir der Sache auf den Grund, und in einem zweiten prüfen wir, was dagegen getan werden kann.

Am 01. Januar 2016 ist das Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) in Kraft getreten; gleichentags auch die zugehörig Finanzmarktinfrastrukturverordnung (FinfraV).

Das FinfraG regelt die Organisation und den Betrieb von Finanzmarktinfrastrukturen sowie die Verhaltenspflichten der Finanzmarktteilnehmern beim Effekten- und Derivatehandel, Art. 1 Abs. 1 FinfraG. Es bezweckt die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und der Transparenz der Effekten- und Derivatemärkte, der Stabilität des Finanzsystems, des Schutzes der Finanzmarktteilnehmer sowie der Gleichbehandlung der Anleger, Art. 1 Abs. 2 FinfraG.

Gem. Art. 93 Abs. 1 FinfraG gilt das Kapital über den Handel mit Derivaten (unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen) für Finanzielle und Nichtfinanzielle Gegenparteien, die ihren Sitz in der Schweiz haben. Finanzielle Gegenparteien sind in Art. 93 Abs. 2 FinfraG definiert, darunter fallen z.B. Banken und Wertpapierhäuser. Als Nichtfinanzielle Gegenparteien gelten Unternehmen, die nicht Finanzielle Gegenparteien sind, Art. 93 Abs. 3 FinfraG.

Sofern Handel mit Derivaten betrieben wird, bringt dies insbesondere nachfolgende Pflichten mit sich:

Gestützt auf diese gesetzlichen Bestimmungen erliess der Bundesrat die zugehörige Verordnung und legte darin u.a. fest: Die Abläufe, mit denen die Umsetzung der Pflichten sichergestellt wird, sind zu dokumentieren, Art. 113 Abs. 1 FinfraV. So weit so gut. Nun aber geschah das Unglück, dessen Entstehung wir noch nicht näher geprüft haben. Erste Vermutung: Eine übereifrige Person wollte sicherstellen, dass auch wirklich niemand durch die Maschen geht, der mit Derivaten handelt und schrieb in den Entwurf: «Nichtfinanzielle Gegenparteien, die nicht mit Derivaten handeln wollen, können diesen Beschluss schriftlich oder in anderer Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, festhalten und sind dann von der Pflicht nach Absatz 1 befreit», Art. 113 Abs. 2 FinfraV (der sich auf Art. 116 FinfraG bezieht). Gemäss Art. 116 Abs. 1 FinfraG prüfen die Revisionsstellen nach den Artikeln 727 und 727a OR im Rahmen ihrer Revision, ob die Gegenparteien die Bestimmungen der Art. 93 ff. FinfraG (3. Titel, 1. Kapital) einhalten. Dementsprechend prüfen diese auch, ob ein entsprechender Befreiungsbeschluss getroffen wurde, und verlangen diesen.

Das ist u.E. eine Revolution in der Rechtsordnung und aus liberaler Sicht eine Ungeheuerlichkeit erster Güte. Dies vor allem, weil eine Quelle von sinnloser Überregulierung geöffnet wird, eine wahre Büchse der Pandora: Mit jedem neuen Gesetz, in dem das steht, steigt die Anzahl von jährlichen Beschlüssen, welche die Revisionsstellen von jetzt an prüfen und verlangen werden, um einen (und es entstehen laufend viele neue Gesetze…). Und es scheint nicht nur so zu sein, dass niemand im Verordnungsgebungs-Prozess das erkannte, sondern es wurde sogar explizit thematisiert und offenbar für sinnvoll befunden. In den Erläuterungsberichten zur Verordnung über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturverordnung, FinfraV) vom 20. August 2015, S. 45 und vom 25. November 2015, S. 51, heisst es hierzu:

«Es ist davon auszugehen, dass viele Nichtfinanzielle Gegenparteien schon bisher keine Derivate einsetzen oder gegebenenfalls in Zukunft darauf verzichten. In diesen Fällen kann auf die schriftliche Dokumentation gemäss Absatz 1 verzichtet worden. Es ist ein Beschluss zu fassen und schriftlich festzuhalten, dass das Unternehmen auf den Einsatz von Derivaten verzichtet. Dieser Beschluss kann natürlich jederzeit widerrufen werden, wobei in der Folge wiederum Absatz 1 zu beachten wäre.»

Deshalb will die Revisionsstelle also von der agrarwirtschaftlichen Unternehmung den Beschluss.

Ein solcher «Beschlusszwang», wonach man etwas nicht tue und daher einem Gesetz nicht unterstehe, für die wohl etwa 99% aller Unternehmen einzuführen, die mit der Sache nicht das Geringste zu tun haben, lässt sich u.E. sicher nicht auf den Wortlaut oder den Sinn und Zweck des Gesetzes stützen, ganz abgesehen von den dadurch angerichteten Folgeschäden, wenn dieses Beispiel Schule macht.

Wir erarbeiten nun einen Folgebeitrag zur Frage, was gegen diesen verordnunggeberischen Fehltritt unternommen werden kann.

Sollten Sie Fragen haben oder Unterstützung benötigen, können Sie sich gerne an uns wenden.

Interessiert mich (Email an sekretariat@m-win.ch; wir melden uns)

Anmerkung: Dieser Beitrag wurde von der unabhängigen Anwaltskanzlei «Martin Rechtsanwälte GmbH» auf unserem Blog publiziert.

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