Am 01.01.2023 tritt die erste Teilrevision des Erbrechts in Kraft.
Sie findet auf Nachlässe der nach dem 31.12.2022 verstorbenen Erblasser Anwendung, unabhängig vom Datum des Testaments oder Erbvertrags.
Die Neuregelungen im Einzelnen:
1. Pflichtteil
Erblasserinnen und Erblasser (im folgenden „Erblasser“) können künftig über einen grösseren Teil ihres Nachlasses frei verfügen. Art. 471 nZGB sieht vor, dass der Pflichtteil für die Nachkommen auf die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils reduziert wird.
Der Pflichtteil der Eltern und von Geschwistern des Erblassers entfällt künftig ganz.
Damit erfolgt eine Neuverteilung des Nachlassvermögens.
Hinterlässt der Erblasser einen Ehegatten oder eingetragenen Partner sowie Nachkommen, beträgt der gesetzliche Erbteil für den Ehegatten und die Nachkommen je ½. Je nach Anzahl der Nachkommen erben diese zu gleichen Teilen den auf sie entfallenden hälftigen Anteil am Nachlassvermögen, also beispielsweise bei zwei Nachkömmlingen je ¼.
Der Pflichtteil reduziert sich bei Ehegatten und Nachkommen auf je ¼, so dass, um beim obigen Beispiel zu bleiben, auf die zwei Nachkommen jeweils 1/8 des Nachlassvermögens entfällt. Über die Hälfte des Nachlassvermögen kann vom Erblasser frei verfügt werden.
Der Erblasser kann somit den überlebenden Ehegatten oder einen Konkubinatspartner mehr als bisher begünstigen oder auch Vermächtnisnehmer stärker bedenken.
Zur Klarstellung und Meidung von Auslegungsproblemen, sollte in bereits bestehenden Verfügungen von Todes wegen, sei es ein Testament oder ein Erbvertrag, ergänzt werden, ob bei Pflichtteilen weiter die alte Quote, oder aber die neue gelten soll. Ist die Höhe der Pflichtteilsquote genannt, ist, falls gewünscht, eine ausdrückliche Änderung zwingend.
2. Erhöhung der Nutzniessung
Nach der geltenden gegenseitigen Meistbegünstigung können sich Ehegatten oder Verpartnerte weiterhin die Nutzniessung an dem auf gemeinsame Nachkommen entfallenden Erbteil zuwenden. Daneben kann dem überlebenden Ehegatten oder Partner neu die Hälfte des Nachlasses (bisher ¼) zugesprochen werden, Art. 473 Abs. 2 nZGB.
Im Falle der Wiederverheiratung oder Neubegründung einer Partnerschaft entfällt die Nutzniessung am Pflichtteil der Nachkommen von Gesetzes wegen, Art. 473 Abs. 3 nZGB und diese erhalten die Nutzniessung nachträglich unbelastet zu Eigentum.
Auch hier stellt sich bei bereits bestehenden Verfügungen von Todes wegen das Auslegungsproblem, wenn neben der Nutzniessung ein Viertel des Nachlasses zu Eigentum zugesprochen wurde. Eine Änderung der Verfügung von Todes wegen sollte, falls gewollt, aus Gründen der Rechtsklarheit vorgenommen werden.
3. Tod während des Scheidungsverfahrens
Neu verliert der überlebende Ehegatte oder Partner, wenn während eines gemeinsam eingeleiteten Scheidungs-/Auflösungsverfahrens ein Ehegatte stirbt
- den Pflichtteilsanspruch, Art. 472 nZGB;
- seine Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen, Art. 120 Abs. 3 Ziff. 2 nZGB;
- eine ehevertragliche (also nicht im Falle einer Partnerschaft) Begünstigung im Falle einer vereinbarten anderen Beteiligung am Vorschlag der Errungenschaftsbeteiligung oder des Gesamtgutes, Art. 217 Abs. 2, 241 Abs. 4 nZGB.
Gleiches gilt bei mindestens zweijähriger Trennung.
Ohne entsprechende Verfügung bleibt es dabei, dass der überlebende Ehegatte trotz Scheidungsverfahren den gesetzlichen Erbteil erhält.
Weiterhin können durch Erbvertrag Regelung für den Fall der Einleitung eines Ehescheidungsverfahrens oder einer Trennung erfolgen.
4. Schenkungen
Der Erblasser bleibt auch nach Abschluss eines Erbvertrags grundsätzlich zu Lebzeiten frei, über sein Vermögen mittels Schenkung zu verfügen (Art. 494 Abs. 2 ZGB).
Neu kann nunmehr der durch einen Erbvertrag Begünstigte Zuwendungen unter Lebenden, die über Gelegenheitsgeschenke hinausgehen, grundsätzlich anfechten, wenn seine erbvertraglichen Ansprüche dadurch geschmälert und lebzeitige Zuwendungen im Erbvertrag nicht vorbehalten wurden (Art. 494 Abs. 3 nZGB).
Es sind daher in einem Erbvertrag entsprechende Vorbehalte aufzunehmen, wenn sich der Erblasser die Möglichkeit offen halten will, Dritte zu Lebzeiten zu beschenken.
5. Ausschau
Zwei weitere Revisionen des Erbrechts werden folgen. Die mit Spannung erwartete zweite Revision der familieninternen Unternehmensnachfolge, findet sich in der Botschaft vom 10. Juni 2022. Es stehen diesbezüglich jedes Jahr bis zu 16 000 Unternehmen vor der Frage, wie die Nachfolge im Sinne der Erben und des Betriebes am besten zu regeln sei. Nach Schätzungen sind wegen der erbrechtlichen Regelung jährlich 3‘400 Unternehmen potenziell von Finanzierungsproblemen betroffen, die zur Gefährdung des Fortbestands und von Arbeitsplätzen führen können.
Bei Fragen stehen wir gerne beratend zur Seite.