Mantelhandel: Bedenkliche Behördenpraxis

von Jürg Martin – martin@m-win.ch

Siehe dazu unsere früheren Beiträge:

Mantelhandel zum zweiten und weitere drohende Überregulierungen – KMU-Kapitalmarktrecht

Mantelhandel: Es wird spannend – MSM Group AG

Man könnte meinen, der Gesetzgeber habe mit Art. 684a OR die Frage, in welchen Fällen die Übertragung einer inaktiven Gesellschaft nichtig ist, klar geregelt, und das werde künftig von den Ämtern so umgesetzt. Doch bereits der Bundesrat hat in Art. 65a Abs. 1 HRegV in rechtstaatlich bedenklicher Weise den Begriff des «begründeten Verdachts» in einer Weise beispielhaft definiert, der mit der konkreten Sache gar nichts zu tun hat (Lit. 2 und 3). Man stelle sich eine Verordnungsvorschrift vor, gemäss der ein Bau- oder Asylgesuch dann als verdächtig qualifiziert und strenger geprüft werden müsse, wenn der Antragsteller von der gleichen Person vertreten wird oder an der gleichen Adresse wohnt, wie in einem früheren Fall eines anderen Antragstellers, der abgewiesen werden musste. Zu Recht undenkbar und wohl Stoff für manchen Shitstorm …

Sodann hat das Eidgenössisches Amt für das Handelsregister eine Praxismitteilung veröffentlicht:

https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/wirtschaft/handelsregister/praxismitteilungen/praxismitteilung-2024-02.pdf.download.pdf/praxismitteilung-2024-02-d.pdf

In dieser wird zwar gleich vorab die Gesetzeslage korrekt zitiert: «Gemäss Art. 684a OR ist die Übertragung von Aktien nichtig, wenn die Gesellschaft keine Geschäftstätigkeit und keine verwertbaren Aktiven mehr hat und überschuldet ist.» Die tatsächliche Behördenpraxis verlässt nun aber, wie wir bereits mehrfach feststellen mussten, diesen Rahmen offenbar systematisch. Beispiele:

  • Anstatt von Überschuldung soll Unterbilanz als Kriterium gelten.
  • Jahresabschlüsse werden verlangt auch wenn gar kein Verdacht vorliegen kann, weil (z.B. mit einem Bankauszug) bewiesen wird, dass eine der drei Voraussetzungen des Art. 684a OR (nämlich dass die Gesellschaft keine verwertbaren Aktiven hat) sicher nicht gegeben ist.
  • Die dem HR gegebene Kompetenz zur Beurteilung, ob ein Verdachtsfall vorliegt, und z.B. Jahresabschlüsse einzuverlangen, wurde offenbar ohne spezifische gesetzliche Grundlage an die Notariate «delegiert». Diese zitieren zur Rechtfertigung ihre allgemeine Prüfungspflicht, ob das Geschäft nicht gegen zwingendes Recht verstösst (§ 20 Abs. 3 NotV ZH).
  • Auch der Grundsatz, dass die betroffenen Regeln für den Mantel»handel» gelten, wird zwar vordergründig bestätigt, tatsächlich aber erheblich aufgeweicht, indem auch «sukzessiv» abgelaufene Vorgänge über längere Zeiträume zusammengenommen werden (in einem vorliegenden Fall 4 Jahre).

Der Gesetzgeber hat nach ausführlicher Diskussion und bewusst entschieden, die Übertragung von inaktiven Gesellschaften nicht grundsätzlich, sondern nur unter strengen Bedingungen zu verbieten. Dass sich die Behörden damit nicht abfinden und eine abweichende Praxis durchdrücken wollen, verursacht erhebliche Rechtsunsicherheit. Es ist zu hoffen, dass die Durchsetzung des Gesetzes früher oder später auf einem der Wege, die dahin führen, bewirkt wird. Bis dahin sind bei entsprechenden Transaktionen zusätzliche Detailkenntnis, Gedanken- und Gestaltungsarbeit nötig, um die gesetzeswidrige Praxis mit (natürlich gesetzesgemässen) Massnahmen zu berücksichtigen.

Jedenfalls ist das ganze auch unter dem Aspekt zunehmenden Vertrauensverlustes in staatliche Stellen sehr bedauerlich und fördert wohl dem fortschreitenden Hang zu Verschwörungstheorien. Oder wie man früher sagte: «Die z Bärn obe mache ja doch was si wei», und das wirkt sich auch nach Züri abe us…