Rufen Sie uns an: +41 52 269 21 00

FIS-Regel 4: Von der Realität überholt ? (1)

von hauser@m-win.ch und martin@m-win.ch, Tel. +41 (52) 269 21 11

Mit der Reihe «Kollision auf der Skipiste, Verstoss gegen FIS-Regeln» wollen wir einen Beitrag zu sichereren Skipisten leisten und das Bewusstsein für rechtliche, aber auch tatsächliche Aspekte schärfen. Im ersten Teil geben wir Ihnen einen Überblick über die Rechtslage und mögliche Konsequenzen fehlbaren Verhaltens.

Der Alltag auf der Piste und Unfälle, die man beobachtet oder von denen man liest, zeigen, dass die Gefahr, von einem Raser hinterrücks «abgeschossen» zu werden, laufend wächst. Dies vor allem, wenn man eher gemütlich unterwegs ist, die Kurven zu Ende fährt (d.h. mehr Pistenbreite beansprucht als der Durchschnittsfahrer) oder eine Schlange von Schülern oder Familienmitgliedern hinter sich hat. Was tut die Rechtsordnung dagegen, und kann diese Wirkung allenfalls verstärkt werden, indem das bekanntgemacht wird?

Die FIS-Regel Nr. 4 besagt: «Überholt werden darf von oben oder unten, von rechts oder von links, aber immer nur mit einem Abstand, der dem überholten Skifahrer oder Snowboarder für alle seine Bewegungen genügend Raum lässt». Tatsächlich scheint auf den Pisten jedoch eine umgekehrte Regel vorzuherrschen, wonach rücksichtslos nah an zu Überholenden vorbeigerast wird und diese ständig nach hinten schauen müssen.

Es handelt sich bei den sog. «FIS-Regeln» um allgemeine Verhaltensregeln des Internationalen Ski-Verbandes (Fédération Internationale de Ski = FIS) für Ski- und Snowboardfahrer. Die FIS-Regeln sind keine Rechtsnormen, sondern Verhaltensregeln, die als Massstab für die im Skisport üblicherweise zu beachtende Sorgfalt heranzuziehen sind (vgl. BGE 106 IV 350 E.3). Sie werden zur Konkretisierung des Sorgfaltsmassstabes sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht herangezogen.

Passiert ein Unfall, stellt sich bei der Beurteilung der Haftung gegenüber dem Geschädigten und der strafrechtlichen Relevanz des Verhaltens auch die Frage, ob eine Verletzung der FIS-Regeln vorliegt und welche Konsequenzen sie hat. Wenn die Rechtsordnung etwas zur Sicherheit auf den Pisten beitragen will, dann

  • sollte die Verletzung der FIS-Regeln (wenn die übrigen rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind) finanzielle, strafrechtliche und weitere (z.B. Skigebietsverbot) Konsequenzen haben,
  • müssen diese Konsequenzen von Geschädigten, Bergbahnen, Versicherungen und Behörden auch tatsächlich durchgesetzt werden und
  • ist dies laufend und prominent bekannt zu machen, damit es Wirkung entfaltet.

Wie sehen die Konsequenzen in der Praxis dazu aus? Wir geben Ihnen nachfolgend einen Überblick.

Zivilrechtliche Haftung

Die Rechtsgrundlage der Haftung ergibt sich in der Regel aus Art. 41 Abs. 1 OR, der besagt: «Wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.» Die FIS-Regeln, die Verhaltensgrundsätze für das Verhalten auf der Piste darstellen, werden hier für die Verschuldensbeurteilung beigezogen.

In Italien und Südtirol müssen übrigens seit dem 01.01.2022 alle Wintersportler für die Piste über eine gültige Haftpflichtversicherung verfügen, die Schäden oder Verletzungen Dritter abdeckt.

Versicherungsrechtlichen Behandlung – Regress

Die Möglichkeit der Sozialversicherer als auch privaten Unfallversicherer, Regress zu nehmen, ergibt sich aus Art. 72 ATSG, bzw. Art. 95c VVG (vormals Art. 72 VVG). Steigenden Unfallzahlen, zum Teil auch mit Todesfolge, bestätigen die Relevanz der Frage des Regresses. Es stellt sich die Frage, ob der Versicherer, der bei einem Kollisionsunfall den Schädiger in Regress nehmen kann, dies auch tatsächlich regelmässig tut. Um diese Frage zu beantworten, haben wir verschiedene Versicherer nach deren Erfahrungen befragt. Zusammengefasst ergibt sich aus den Stellungnahmen der Versicherungsunternehmen, dass vom Regeressrecht durchaus Gebrauch gemacht wird. Wenn dem nicht so ist, liegt dies weniger an rechtlichen Voraussetzungen, sondern an der Beweisproblematik. Anders als etwa bei Strassenverkehrsunfällen fehlen meist ein Polizeirapport, Zeugenaussagen wie auch bildgebende Dokumente. Die Protokolle des Pistendiensts helfen in den allerseltensten Fällen weiter; sie sind oft äusserst rudimentär gehalten und stützten sich manchmal auch nur auf einseitige Aussagen.

Strafrecht

Auch auf der Piste findet das Strafrecht Anwendung. Im Falle einer fahrlässigen Tatbegehung, z.B. fahrlässige Körperverletzung, kommen die FIS-Regelungen neben gesetzlich festgelegten Sorgfaltspflichten zur Anwendung, um das im Einzelfall gebotene Mass an Sorgfalt (gegen welches verstossen wurde) zu bestimmen.

Konsequenzen von Bergbahnbetreibern

Generelle Regelungen, wie mit Gefährdern oder Schädigern umgegangen werden muss, gibt es nicht. Häufig sind aber Regelungen in den AGB der Bergbahnbetreiber vorgesehen, z.B. in Form von Ausschlüssen vom Transport. Je nachdem kann der Betreiber auch von seinem Hausrecht Gebrauch machen und den fehlbaren Wintersportler der Piste verweisen oder gar dessen Ticket entziehen. 

Sollten Sie Fragen haben oder Unterstützung benötigen, können Sie sich gerne an uns wenden.

Für zugleich sicheres und sportliches Fahren empfehlen wir www.stoeckli.ch.

Interessiert mich (Email an sekretariat@m-win.ch; wir melden uns)

Anmerkung: Dieser Beitrag wurde von der unabhängigen Anwaltskanzlei «Martin Rechtsanwälte GmbH» auf unserem Blog publiziert.

Close Menu